RÜCKFALL „Jesus ist auch in die Höhle des Löwen gegangen.“ In meinem Kampf gegen die Spielsucht war mir die Selbsthilfegruppe eine große Hilfe, es zu schaffen, immer größere Spielpausen einzulegen. Denn, ehr- lich gesagt, richtig spielfrei bin ich nicht. Ich nahm mir vor, nicht mehr zu spielen, versprach es meiner Mutter, meiner Frau, meinem Sohn – und doch bin ich immer wieder rückfällig geworden. ren und ich kein Geld mehr hatte, um weiterspielen zu können, kam so etwas wie ein Gefühl der Schuld auf. Ärger war es nicht ... In der Freundeskreis-Gruppe erzählte ich von dem Rückfall. „Weißt du“, sagte mein Gruppenbegleiter, „man kann anderen nur helfen, wenn man selbst sta- bil ist.“ Ich danke ihm dafür. Ich erinnere mich an meinen ersten Rück- fall. Im Freundeskreis erzählte eine Teil- nehmerin – eine Spielerin – sie schaffe es einfach nicht, vom Spielen wegzu- kommen. Und sie gehe immer sonntags ins Casino .... Es war Sonntag. Mir war langweilig. Ich hatte alles erledigt, was zu erledigen war. Was tun gegen die Lan- geweile? Na ja – irgendwie ging mir meine Freundin aus der Selbsthilfegruppe nicht aus dem Kopf. Ich dachte, Jesus hat das ja auch gemacht und ist in die Höhle des Löwen gegangen. Ein guter Christ muss doch seinen Nächsten helfen. Und ich wähnte mich auch schon so sicher, nie wieder zu spielen ... Kurze Zeit später saß ich im Casino am Automaten. Ich musste nicht mehr denken. Meine überglückli- chen Synapsen übernahmen die Kontrolle. Mein Lieb- lingsspiel lief schon. Als schließlich 80 Euro weg wa- Ich denke nicht, dass ich ein schlechter Mensch bin, weil mir immer wieder ein Rückfall passiert. Ich denke gar nichts. Ich finde es gut, dass ich ehrlich zu mir selbst bin. Ich finde es gut, dass ich die Selbst- hilfegruppe weiterhin besuche. Ich finde es auch gut, dass meine spiel- freien Zeiten immer länger werden. Ob ich jemals ganz vom Spielen wegkomme, weiß ich nicht. Ich finde es mittlerweile auch nicht gut, es mir immer wieder vorzunehmen und es lieben und geliebten Menschen zu versprechen. Ich finde es gut, wenn ich immer längere Spielpausen ma- che. Vielleicht schaffe ich es – hoffentlich bald – eine gaaaanz lange Pause zu machen. Tihomir Lozanovski, LV Baden, Freundeskreis Karlsruhe „Ich wurde rückfällig: Hauptsache, ich esse!“ Im letzten Jahr überforderten mich Ereignisse emo- tional. Ich wurde rückfällig. Mein Suchtmittel ist Nahrung. Ich beschränke mich nicht auf Bestimm- tes – Hauptsache, ich esse. Ich esse wegen des Essens, die Kontrolle über Men- gen habe ich verloren, das Gefühl „satt“ ist mir fremd. Ich schlinge es weder hinunter, noch erbreche ich hinterher. Ich passe nicht in die Schemata der anerkannten Essstörungen. Und das Schlimmste für mich: Ich kann mein Suchtmittel nicht weglassen. Um zu le- ben, muss ich essen. Wenn der Druck da ist, laufe ich herum und suche. Ich esse, weil ich Ruhe, Ausgeglichenheit und Frie- den in meiner Seele haben möchte. Das ge- lingt aber nicht, ich weiß das alles, trotzdem. „Schokolade macht glücklich“ oder „Die Nerven brauchen das jetzt“? Nein, Schokolade macht mich nicht glücklich. Und die Nerven brauchen das nicht, ich brauchte Hilfe. Um zumindest nicht mehr überge- wichtig zu sein, kontrollierte ich das Essen und trieb Sport. Ich habe mein Essen aufgeschrieben; eiserne Disziplin, absolute Kontrolle. Einen anderen Weg sah ich nicht. Mein Gefühl: Keiner erkennt meine seeli- schen Qualen. Ärzte lächelten, ich sei doch normalge- wichtig, jeder würde mal bei Stress über die Stränge schlagen. Selbst von meiner Psychotherapeutin oder in der Gruppe hörte ich, er oder sie könne auch eine ganze Tafel Schokolade oder Tüte Chips essen, der Kör- per bräuchte das bestimmt. ich heimlich esse. Und jetzt im Rückfall schäme ich mich Ich so sehr, dass versuche, die aufgenommenen Ka- lorien indem ich normale Mahlzeiten auslasse, trotz- dem habe ich zugenommen. Würde ich Alkohol oder Drogen konsumieren, müsste ich nicht so sehr um Anerken- zu kompensieren, nung kämpfen, aber Nahrung? Ja, ich bin im Rückfall und ich bin verzwei- felt, manchmal mutlos, doch ich werde wieder aufstehen und weitergehen. Ich wünsche mir mehr Unterstützung in meiner Art von „Sucht“. Letztens hat jemand gesagt: „Essen war nie böse oder schlecht zu mir, es war immer gut.“ Wie wahr! Heike Schön, LV Hessen, FK Altenstadt M E I N R Ü C K F A L L M E I N R Ü C K F A L L FreundeskreisJournal | 1/2022 7