THEMA Früher war alles besser!? Bodo Schmidt über das Gefühl, dass es früher in den Freundeskreisen irgendwie anders war Früher war alles besser!“ Wirk- lich? Immer wieder höre ich auch in den Gruppen meines Landesverbandes, dass es nicht mehr so schön sei wie früher. Wo- ran mag das liegen? Ja, auch ich habe manches Mal das Gefühl, dass es früher in meinem Freun- deskreis besser war. Doch woher kommt diese viel gesagte und viel gehörte Aussage? Unser Gehirn erinnert sich beim geistigen Herumkramen in der Vergangenheit, uns zuliebe, meist nur an die positiven Ereignisse und lässt die Schlechten positiver er- scheinen. Ich denke, auch die technische und die gesellschaftliche Entwick- lung lässt uns zu diesem Schluss kommen – immer mehr Informa- tionen, Live-Unterhaltungen per Chat oder Video, schon mitein- ander, aber jeder für sich. Treffen und Gespräche zwischen den Men- schen finden kaum noch statt. Von meinem Wohnzimmer aus kann ich mich mit der ganzen Welt un- terhalten. Und wenn ich abschalte, bin ich wieder allein, ohne die Wär- me meines Gesprächspartners ge- spürt zu haben, ohne freundschaft- liche oder liebevolle Umarmung. Der technische Fortschritt bringt heutzutage innerhalb kürzester Zeit Veränderungen mit sich, die uns alle betreffen. Es dauert keine hunderte von Jahren mehr, bis er uns erreicht. Egal ob zu Hause, am Arbeitsplatz oder in der Gruppe. Viele kommen mit der rasanten Entwicklung nicht mehr mit. So ziehen sie den Schluss, früher war alles besser. Besser sicherlich nicht, aber für den Einzelnen oftmals ein- facher. Aber warum habe auch ich öfter das Gefühl, in meinem Freundes- kreis sei es früher besser gewesen? Faszinierende Wärme Das Feeling ist anders Meinen ersten Kontakt zu einem Freundeskreis hatte ich im Früh- jahr 2008 in Ernstthal. Schon die herzliche Begrüßung beim ersten Seminar war umwerfend. Keine Sekunde an diesem Wochenende fühlte ich mich fremd oder außen- stehend, obwohl ich diese Men- schen, außer den Gruppenbeglei- ter, zuvor noch nie gesehen hatte. Dieses Miteinander, der respekt- volle Umgang, die Wärme, die sie ausstrahlten, beeindruckten und faszinierten mich zugleich. So sehr, dass ich mit dem Gedanken nach Hause fuhr, einen Freundeskreis in meiner Stadt zu gründen. Den meisten von euch wird es bei ihrer ersten Begegnung ähnlich ergangen sein, sonst wärt ihr nicht bei den Freundeskreisen geblie- ben. Warum habt ihr den Kontakt gesucht? Was war der Grund? Rich- tig, wir waren nach langer Zeit des Konsumierens am Boden zerstört. Einfach fertig mit uns und der Welt, der Selbstwert gegen null. Unser Leben war uns entglitten und das, was es lebenswert machte, in weite Ferne gerückt. Doch hatten wir den Wunsch, das zu ändern und wuss- ten, wir schaffen es nicht allein. Und dann treffen wir auf Men- schen, die uns nehmen, wie wir sind, die zuhören und sich für uns interessieren, die uns das Gefühl geben, dass wir ihnen in all un- serer Not wichtig sind, unvorein- genommen und ohne Stigmati- sierung. Wir hatten einfach das Gefühl, gut aufgenommen und in einer Gemeinschaft angekommen zu sein, die Verständnis, Wärme und Herzlichkeit ausstrahlt. Ich selbst war einfach froh und voller Optimismus, dass ich mit Hilfe die- ser Menschen mein Leben wieder lebenswert gestalten könnte. Und heute? Ich gestalte mein Leben so, wie ich will; all meine Ziele habe ich erreicht. Es ist All- tag geworden – das Leben ohne Suchtmittel, ohne Lüge, vor allem ohne das Selbst zu belügen. Darü- ber freue ich mich noch, aber es ist nichts Besonderes mehr. Das Feeling in meinem Freun- deskreis ist anders als es in mei- ner Anfangszeit war. Jeder, der schon einige Zeit suchtmittelfrei lebt, kennt das: Früher war ich der, der Rat gesucht und bekom- men hat, der Antworten auf seine Frage bekommen hat. Jede Woche habe ich mit Stolz den Menschen in meinem Freundeskreis davon berichtet, wie ich durch ihre Hilfe und ihre Erfahrungen die Woche gemeistert habe. Durch die Bestäti- gung, die mir zuteil wurde, wuchs mein Selbstwertgefühl. Ich war nicht mehr der Verlierer, sondern wurde nach und nach wieder ge- und beachtet, von Mitmenschen ernst genommen. Das konnte ein Gefühl der Euphorie auslösen. Aber nun, einige Jahre später, werde ICH gefragt. Jetzt kann mei- ne Erfahrung, von der ich erzähle, wichtig und vielleicht lebensret- tend für andere sein. Es ist ein sehr gutes Gefühl, anders und schön. Eben anders schön. Wenn wir et- was finden, was früher besser ge- wesen ist, sollten wir in uns gehen und unseren Beitrag dazu leisten, dass das „Heute“ besser wird. Bodo Schmidt, Vorsitzender des Landesverban- des Thüringen 10 2/2024 | FreundeskreisJournal