L E K I T R A H C A F 8 1 Gemeinsam mit anderen Menschen, im „Kampf“ gegen die eigene Sucht, gemeinsam mit Fachper- sonal, gemeinsam in Netzwerken, mit Verbänden, Behandlern und Betroffenen. Gemeinsam schaffen wir im Leben mehr als jeder von uns allein. Das ist ein Grundsatz, den wir im Fachkrankenhaus Vielbach, ja auch in unserem übergeordneten Träger, dem Frankfurter Verein, schon viele Jahrzehnte so leben. Weil wir daran glauben. Und weil er sich jeden Tag aufs Neue beweist. In unserem Arbeitsalltag, aber auch im Privaten. Dies ist auch der Glaubenssatz der Freundeskreise. Gemeinsam an einem Strang zu ziehen. So wie es auch im neuen Ansatz der „leistungssensiblen Suchttherapie“ (nach Fleckenstein und Flecken- stein-Heer) als Metapher verwendet wird. Wie das Ziehen an einem Gummiband - an einem Expander, den wir aus dem Sport kennen. Der Versuch, die Abstinenz aufrecht zu erhalten kann dem immer- währenden Ziehen an einem derartigen Expander ähneln - eine ausgesprochene Leistung! Und wenn ich selbst ermüde, selbst nicht mehr kann, wird es helfen, wenn jemand mit anpackt, gemeinsam mit mir zieht.Insbesondere am Anfang, wenn ich noch nicht die passenden Muskeln habe und wenn das Gummiband noch nicht vom langen Ziehen etwas flexibler ist und die ganze Sache leichter wird. Deswegen vertreten wir - die nicht nur praktisch wirksame, sondern auch wissenschaftlich fundierte Überzeugung, dass eine gruppenba- sierte Suchtselbsthilfe, also das gemeinsame Ziehen an diesem Strang, die Abstinenz stärken, ja dauer- hafter machen kann. langfristige ausgeprägt folgend besteht eine Dieser Überzeugung langjährige Kooperation unseres Fachkranken- hauses mit Selbsthilfegruppen. Und nicht zuletzt mit Herrn Vietze, der mich im Rahmen dieses Artikels fragte „Wo sehen Sie die Zukunft der Sucht- hilfe?“. Er beschrieb den gesellschaftlichen Wandel, die Schnelllebigkeit, die Tendenz zur Konsumgesell- schaft, die sich selbst immer mehr berieseln lassen möchte, anstatt selbstständig tätig zu werden. Auch seine Erfahrungen aus Selbsthilfegruppen seien, dass neu hinzukommende Teilnehmer zuerst auch mit Erwartungen „sich berieseln zu lassen“ auftauchen. Hierzu kann ich nur sagen: Ja, das beobachte ich auch! Aber ich frage zurück: Ist es nicht Teil des süchtigen Entwicklungsprozesses, ist es nicht Symptom der Sucht, zu „konsumieren“? Warum sollte das also in den Anfängen des Ausstiegspro- zesses aus der Sucht anders sein? Ist es nicht das Verhaltensmuster, was so lange geübt, erlernt und „bewährt“ war? Ist es nicht die Hauptaufgabe der Suchtarbeit zu animieren, aus dieser Passivität, dieser Lähmung, dieser Hilflosigkeit und Ohnmacht herauszufinden? Besonders am Anfang, wenn ich versuche, den ersten Strohhalm zu greifen, funktio- niert dies bestimmt nicht mit vollem Energietank, voller Power und Veränderungsmotivation. Sondern mit kleinen Schritten, hinein in die Aktivität. Und hierzu brauche ich vor allem Eines: Die Hand die mir gereicht wird, jemanden, der mein Problem versteht, der mir Mut macht, einfach zuhört, vielleicht auch erstmal nur erklärt oder seine eigene Geschichte erzählt, damit ich sehe: „Hey, ich bin nicht allein.“ In unserem Alltag in der Fachklinik sehe ich dies immer wieder. Gesichter in der Gruppe kommen und gehen, aber die neuen Gesichter, die kommen, profitieren im Gruppenkontext zunächst von dem, was andere berichten. Von Gesichtern, die schon länger in der Therapie sind, die erste Erfolge und Veränderungen spüren und erzählen. Vom Mutmachen dadurch, dass der Gedanke entsteht: „Hey, vielleicht kann ich das auch schaffen.“ Und so muss ich aus einer früheren Therapiegruppe zitieren: „Hey, wenn sogar DER das schafft, dann besteht ja für mich vielleicht noch Hoffnung.“ Nicht besonders wertschätzend ich weiß, aber: „Hey“, wer ist denn am Anfang einer Therapie schon besonders wertschätzend, weder mit sich noch mit anderen. Am Anfang überwiegt doch oft der Negativismus, die Angst, der Zweifel und vor allem Anderen doch die Scham und die gefühlte Schuld, die ausnahmslos jeder mitbringt. Und so gibt es nichts Wichtigeres, als in diesen Anfängen seines Weges zur Abstinenz Hoffnung und Mut zu schöpfen, voneinander, von uns als Menschen. Denn erst wenn dieser Schritt gemacht ist, gelingt es mir doch, eigene erste Schritte zu machen. Mich vielleicht selbst zu öffnen, die ersten Worte zu sagen, selbst aktiv zu werden. Und dann die Erfahrung zu machen: „Hey, wenn ich selbst aktiv werde, kann sich das gut entwickeln, kann sich das gut anfühlen.“ Und dann sind wir schon auf der ersten Stufe zur Überwindung der Sucht angekommen. Zu Lernen das Leben nicht mehr nur zu „ertragen“, zu verdrängen oder „abzuschalten“, sondern auf der ersten Stufe, mein Leben wieder aktiv zu gestalten, es selbst in die Hand zu nehmen und zu erfahren, welchen positiven Effekt meine Handlungen auch haben können. Wir Thera- peut:innen nennen das „Selbstwirksamkeitser- „Wenn wir langfristig etwas erreichen wollen, geht das immer nur gemeinsam.“ – Jennifer Casavecchia